
Das große Thema von Vertrauen schenken und Misstrauen wahren steht seit einiger Zeit, aus aktuellen und vergangenen Anlässen, im Mittelpunkt vieler Gespräche in unserer Familie. Wir graben jeden Tag so viele Beispiele aus, in denen wir den Vertrauensvorschuss, den wir unserer Natur entsprechend sehr gerne verschenken, besser in selbstschützendes Misstrauen verwandelt hätten. Nun stellt sich die Frage, wann Vertrauen und wann Misstrauen angebracht ist und wie ich Menschen und Situationen richtig einschätze, um Verletzungen und vielleicht sogar finanzielle Schädigungen zu vermeiden. Und hält sich nicht auch Naivität nah am Vertrauen auf - und was ist mit Gutgläubigkeit? Was sind die Unterschiede? Wie wachse ich zu einem achtsamen, vertrauensvollen und wachsamen Menschen ohne bitter und kalt zu werden?
Schon bevor wir auf die Welt kommen, nimmt unser Umfeld Einfluss auf unsere emotionalen Wahrnehmungen in Form von Emotionen der Mutter. Später erleben wir die Dynamik in unserem Familiensystem und erfahren dabei die Befriedigung oder Nicht-Befriedigung unserer grundlegenden Bedürfnisse von Sicherheit, Gesellschaft und bedingungsloser Liebe. Oft entstehen emotionale Defizite, die den Grundstein für das spätere Verhalten in zwischenmenschlichen Beziehungen legen. Die Frage, ob ein Mensch anderen vertrauensvoll, gutgläubig, naiv oder gar misstrauisch begegnet, beantwortet ein gründlicher Blick auf die Kindheit. Was immer wir erlebt haben, kann in uns wie ein Echo aus der Vergangenheit nachhallen und unreflektiert wiederholen wir heute, was unserem inneren Kind damals Schutz und Sicherheit geboten hat, aber uns heute leider nicht mehr dient und gar keine Begründung in der Realität findet.
Wie unterscheiden sich Vertrauen, Gutgläubigkeit und Naivität und was liegt ihnen zugrunde?
Die Definition von Naivität lautet, jemandem zu vertrauen ohne zu prüfen, zu hinterfragen oder auf Warnzeichen zu achten. Naive Menschen sind unkritisch und realitätsfern und ihr Vertrauen basiert auf Wunschdenken und Illusion, manchmal auf Mangel an Erfahrung und Wissen und übermäßigem, unreflektiertem Optimismus.
Gutgläubigkeit geht davon aus, dass Menschen die Wahrheit sprechen und nichts Böses im Schilde führen. Die positive, oft unkritische Grundhaltung nutzen andere gerne zu ihrem Vorteil aus, was ein hohes Risiko für Enttäuschungen nach sich zieht.
Vertrauen erfordert Bewusstheit und die innere Stärke zu spüren, zu beobachten und zu entscheiden. Echtes Vertrauen braucht keine Blindheit sondern Bewusstheit. Vertrauen ist eine bewusste Entscheidung und keine gedankenlose Übergabe der Kontrolle. Ein vertrauensvoller Mensch prüft bewusst und lässt dann los, ohne alles weitere zu ignorieren oder sich selbst zu vergessen oder in Gefahr zu bringen.
Zusammenfassend kann man...
- NAIV mit unreflektiertem Vertrauen trotz klarer Risiken
- GUTGLÄUBIG mit schnellem, aber nicht völlig blindem Vertrauen und
- VERTRAUENSVOLL mit bewusstem Vertrauen mit Augenmaß
beschreiben.
Wenn also Vertrauen reflektiert ist, kann sich das z.B. so anhören: "Ich habe dich beobachtet. Ich habe Zweifel gespürt, aber ich habe auch Gutes gesehen. Ich wähle, dir zu vertrauen - bewusst, nicht blind." Dieses Vertrauen macht mich nicht schwächer sondern freier. Mein Gegenüber ist authentisch, in Worten und Taten, und berechenbar. Ich fühle mich sicher und muss mich nicht verbiegen. Die Grundlage ist Beobachtung, Prüfung, Entscheidung. Das ist Beziehungs-Vertrauen: "Ich sehe, wer du bist."
Wenn ich jemandem blind vertraue, ohne auf irgendetwas im Vorfeld und in weiterer Folge zu achten, dann ist das kein Vertrauen in den Menschen sondern in meine Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse. Ich projiziere all dies auf jenen Menschen. Alte Muster aus der Kindheit und früheren Beziehungen werden wiederholt, das Gegenüber soll meine Lücken füllen und für mich fühlen, weil ich es verloren habe. Die Grundlagen sind unbearbeitete Muster aus der Kindheit. Das ist Projektions-Vertrauen: "Ich sehe, wer ich will, dass du bist."
Um den Kreis zu schließen, hole ich nochmal das Misstrauen ins Boot. Bei der echten, reifen Vertrauensfähigkeit beobachten und prüfen wir und entscheiden aktiv Vertrauen zu schenken. Dieser Prozess ist nicht blind oder naiv, sondern fundiert auf realen Beobachtungen und Erfahrungen. Während dieses Prozesses dient das anfängliche Misstrauen, in der Phase des Prüfens und Beobachtens als kurzfristiger Schutz, um zu verhindern, dass das Vertrauen missbraucht wird. Wenn man so will, ist ein gesundes Maß an Misstrauen das Anfangsstadium jeder Beziehung. Wenn du prüfst und beobachtest, ist Misstrauen ein kurzfristiger Schutz. Aber in dem Moment, indem du durch Beobachtungen und Erlebnisse feststellst, dass ein Mensch verlässlich ist, zu seinem Wort steht und sein Verhalten mit deinen Werten übereinstimmt, lässt du Misstrauen los und baust echtes Vertrauen auf. Das heißt allerdings nicht, dass einmal vergebenes Vertrauen statisch und unabänderlich ist. Vertrauen ist eine fortlaufende Entscheidung, die wir im Laufe der Zeit immer wieder überprüfen und anpassen können.
Fazit: Misstrauen schützt uns kurzfristig vor Vertrauensmissbrauch und dient uns in einem gesunden Ausmaß im Vertrauensprozess. Einem Menschen echtes Vertrauen zu schenken bleibt eine immer fortlaufende Entscheidung basierend auf realen Erfahrungen und Beobachtungen.
The big topic of giving trust and maintaining mistrust has been at the center of many discussions in our family for some time now, due to both current and past events. Every day, we come up with so many examples where the trust we so eagerly offer by nature would have been better transformed into self-protective mistrust. Now the question arises: when is trust appropriate, and when is mistrust? How do I properly assess people and situations to avoid emotional hurt and even financial damage? And isn't naivety closely related to trust – and what about credulity? What are the differences? How can I grow into a mindful, trusting, and vigilant person without becoming bitter and cold?
Even before we are born, our environment influences our emotional perceptions in the form of the mother's emotions. Later, we experience the dynamics within our family system and either fulfill or fail to fulfill our basic needs for safety, companionship, and unconditional love. Often, emotional deficits arise, which lay the foundation for later behavior in interpersonal relationships. The question of whether a person approaches others with trust, credulity, naivety, or even suspicion is answered by a deep look at childhood. Whatever we experienced can echo within us, and without reflection, we unconsciously repeat today what once provided our inner child with protection and security, but unfortunately no longer serves us and finds no justification in the present reality.
How do trust, credulity, and naivety differ, and what underlies them?
The definition of naivety is to trust someone without checking, questioning, or paying attention to warning signs. Naive people are uncritical and disconnected from reality, and their trust is based on wishful thinking and illusion, sometimes stemming from a lack of experience and knowledge, as well as excessive, unreflective optimism.
Credulity assumes that people speak the truth and have no malicious intent. The positive, often uncritical mindset is frequently exploited by others for their own benefit, which leads to a high risk of disappointment.
Trust requires awareness and the inner strength to feel, observe, and decide. True trust does not require blindness but awareness. Trust is a conscious decision, not a mindless surrender of control. A trustworthy person consciously evaluates and then lets go, without ignoring everything else, losing themselves, or putting themselves in danger.
In summary, one can describe:
- NAIVETY as unreflective trust despite clear risks
- CREDULITY as quick, but not entirely blind, trust
- TRUST as conscious trust with discernment
So, when trust is reflected upon, it might sound like this: "I have observed you. I felt doubts, but I also saw good things. I choose to trust you – consciously, not blindly." This trust does not make me weaker, but freer. My counterpart is authentic, in words and actions, and predictable. I feel safe and don't have to bend myself. The foundation is observation, examination, decision. This is relational trust: "I see who you are."
If I trust someone blindly, without paying attention to anything beforehand or subsequently, then it is not trust in the person but in my hopes, wishes, and needs. I project all of this onto that person. Old patterns from childhood and past relationships are repeated, and the other person is expected to fill my gaps and feel for me because I have lost that. The foundation is unprocessed patterns from childhood. This is projection-based trust: "I see who I want you to be."
To close the circle, I bring mistrust back into the picture. In genuine, mature trust, we observe and examine and actively decide to trust. This process is not blind or naive, but based on real observations and experiences. During this process, initial mistrust serves, in the phase of examination and observation, as short-term protection to prevent the trust from being misused. If you will, a healthy amount of mistrust is the starting point of any relationship. When you examine and observe, mistrust is a short-term safeguard. But in the moment when you find through observations and experiences that a person is reliable, keeps their word, and their behavior aligns with your values, you let go of mistrust and build real trust. However, this does not mean that trust, once granted, is static and unchangeable. Trust is an ongoing decision that we can continuously reassess and adjust over time.
Conclusion: Mistrust protects us in the short term from the abuse of trust and serves us in a healthy amount during the trust-building process. Granting someone genuine trust remains an ongoing decision, based on real experiences and observations.